Die Veröffentlichung der „Brillant Adventure“ Box soll für uns ein Anlass sein, David Bowie in den 90ern mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Spirit seiner Arbeiten knüpft nahtlos an sein Werk der 70er Jahre an. Und auch wenn eine gewisse Ausschussquote zu bemängeln ist, gebiert sich der Nucleus seiner Arbeit faszinierend wie zwei Dekaden zuvor. Beweisen tut das Plaste mit einer coolen Playliste. Also leset und staunet.
David Bowie war nie ein kompletter Solokünstler, seine größten Alben veröffentliche er mit Kooperationspartnern. Mit Mick Ronson als Sidekick für Ziggy, Carlos Alomar in seiner Zeit in LA, Brian Eno in Berlin und Nile Rodgers als Startpunkt in die 80er Superstar-Arena-Phase.
Interessanterweise lieferte David Bowie als Teil der richtigen Band Tin-Maschine den größten Murks seiner Karriere ab. Und damit sind wir schon in den 90ern. Das Jahrzehnt, nach dem dem Zusammenbruch des Ostblocks, als der Siegeszug der Demokratie unausweichlich schien und sich die USA als „gutmütiger Hegemon“ gerierten. Bowie hatte die Nase voll von seinem eigenen blank gewienerten Charts-Pop aus den 80ern. In Seattle knallten Kids in zerrissenen Jeans ihre Gitarren in billige Verstärker. Die Mauer in Berlin fiel und durch die einst düstere Mauerstadt zog die Loveparade. In London experimentierte die Metalheadz-Crew mit den ersten Drum’n Bass Pattern.
Bowie verkaufte in den 80er Singles wie geschnitten Brot, seine Alben gerieten jedoch orientierunglos bis kässfüssig. Damit kann man leben, die Hochzeit mit Imam, erfolgreiche Tourneen, Best-Of Alben, alle drei Jahre eine CD mit einem Semi-Hit. Raus aus dem Studio rein in die Welt des Boulevards. Das Paradies für die Mick Jaggers dieser Welt. Ein Lebensentwurf für Alt-Rocker aber nicht für einen Künstler wie David Bowie.
Black Tie White Noise
Den Anfang von David Bowie in den 90ern machte „Black Tie White Noise“. Vielleicht um sicher zu gehen, fuhr er gleich mit Mick Ronson und Nile Rodgers zwei schwere Geschütze aus seiner Karriere auf. Gitarrist Ronson starb leider bereits zu Beginn der Aufnahmen an Lungenkrebs. Rodgers kam nicht wirklich damit klar, dass Bowie keine Hits produzieren wollte. Trotz der Ambivalenz des Albums gibt es Highlights, das „Night Flight“ Cover von den Walker Brothers oder „Looking for Lester“. In diesem Instrumental überlässt er Lester Bowie von Defunkt generös den Lead in der groovenden Jazzfunk-Nummer. Kein Meisterwerk aber das beste Album seit Scary Monsters.
1. Outside
Bei seiner Hochzeit mit Imam schnappte er sich seinen alten Buddy Brian Eno. Die beiden spielten zum Tanze auf und legten hier wahrscheinlich zwischen all den Promis den Grundstein für „1. Outside“ Sie fotografierten Art Brut Kunstwerke in einer Psychiatrischen Klinik in Wien und nahmen diese „Outsider-Kunst“ mit ins Studio. Das Album sollte der erste Step einer Story um den Privatdetektiv Nathan Nadler sein. Die beiden waren neugierig, hatten Bock auf neue Musik und gingen ohne fertige Songs ins Studio.
David Bowie bearbeitete das Material zusätzlich mit Burroughs Cut-up Technik, die Arbeit ließ er von einem neuartigen Computerprogramm erledigen. Vielleicht war es doch etwas zuviel des guten, oder sie wollten das Medium CD mit 75 Minuten Spiellänge komplett ausreizen. 1. Outside wirkt jedenfalls stellenweise zerfahren und viel zu lang. Trotzdem enthält es eine handvolle echter Bowie Meisterwerke. Das quecksilbrige „The Hearts Filthy Lesson“ oder „Hallo Spaceboy“ im Nachhinein von den Pet-Shop Boys zu einer Hyperpop-Hymne aufgebrezelt. Kein Start zu einer neuen Eno-Trilogie aber definitiv sein bestes Album seit „Scary Monsters“
Earthling
Für Earthling lies er sich nun definitiv vom heißen Scheiss der 90s inspirieren und schrieb sich den Industrial von Nine Inch Nails und D’nB von Goldie auf die To-Do-Liste. Und ihm gelang damit dasselbe wie bei seinen Glam, Philly oder Krautrock-Adaptionen. Die Vereinnahmung und Veredlung eines Trends durch den Künstlers Bowie. Earthlings ist auch deshalb ein großes Album, weil Bowie hier seine stärksten Songs schrieb. Darunter das zappelige „Little Wonder“, das hyperventilierende „I’m Afraid of America“ oder die kickende Rock ’n Roll Hommage „Dead Man Walking“. Trotzdem floppte laut allgemeinen Musikjournalisten-Narrativ Earthling deshalb weil der Drums ’n Bass Boom 1997 schon längst vor bei war und Bowie schlicht zu spät damit ankam. Allerdings denke ich, dass es daran lag, dass D’nB nie wirklich im Mainstream ankam.
Die 90er waren auch nicht die 70er, keiner gierte mehr nach Neuem und Weiterentwicklungen und die Hit konsumierende Bowie Fanbase war mit den hibbelig, schredderigen Beats komplett überfordert. Eine schöne Szene aus dieser Zeit spielte sich in Deutschlands Konsens-Wohnzimmer ab. Kurz vor der Veröffentlichung von „Earthling“ 1997 teilten sich Bowie und Thomas Gottschalk das „Wetten Dass“-Sofa. Bowie sprach mit dem Dampfplauderer über seine Einflüsse und konfrontierte ganz TV-Deutschland mit Düsseldorfer Bands wie „Harmonia“ oder „Neu!“. Immerhin einer im Saale outete sich als Kenner. Auf dem Cover posiert Bowie in einer Alexander McQuenn Jacke und schafft es damit nochmal einen ikonischen „Bowie in den 90ern“ Stempel zu kreieren. Earthling war, und ihr werdet es schon ahnen seine beste Platte seit Scary Monsters.
Post Scriptum
Das Album „Buddha of Surbubia“, ein Soundtrack für die BBC passt mit seiner Spielfreude genau zwischen „Black Tie White Noise“. „Hour“ erschien zwar 1999, war aber wohl als Vorstudie zu einer Serie von bräsigen Alterswerken angelegt und „Toy“ relaest erst jetzt zusammen mit der „Brillant Adventure“ Box. Für michein reines Altherren-Spaßprojekt, das ihm vergönnt sei. By the Way ist Boy mit einem Cover versehen, bei dem sich Bowie sicherlich mehrfach im Grab umdrehen würde, wenn er auf dieses nicht verzichtet hätte.
Die David Bowie in den 90ern Playlist
Alles in allem ergeben seine ambitionierten Tracks aus diesem Jahrzehnt eine fesselnde Playlist. Höret und staunet.
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