Im Dezember 2018 erscheint die letzte Ausgabe von Spex. Plaste blickt mit einer Träne im Knopfloch zurück auf das Magazin, das es erlaubte uns selbst ein wenig wie Popstars zu fühlen.
Ich gebe es zu. Ich bin kein Spex Leser der ersten Stunde. Ich fand es bis 1983 im Vergleich zu Sounds einfach zu pomadig. Das Magazin aus Hamburg war die Bibel meiner Pop-Sozialisierung. Diedrich Diedrichsen & Co. übernahmen die Hippie Postille 1979 und zeigten den Boring Old Farts die Nase. Vor allem aber kreierte die Redaktion eine deutsche Variante des englischen Pop Journalismus.
Beim NME schufen Tony Parsons und Julie Burchill ab 1977 eine eigene Pop-Sprache. Musik war der Markenkern der Jugendkultur und die beiden entwickelten ein journalistisches Aquäivalent zur Punk-Musik. Schnell, sexy, jung und bösartig. Die deutsche Variante von Sounds war analytischer und intellektueller angelegt – Post Punk eben. Dummerweise wollte das angestammt Prog-Rock Leserschaft davon nichts wissen und das kaufkraftstarke Independent Publikum war noch zu jung. Sounds wurde 1983 eingestellt.
Die einen HÖRTEN die Hits von „Frankie goes to Hollywood“, wir jedoch VERSTANDEN.
Diedrichsen und weitere Redakteure wechselten im gleich Jahr zu Spex. Meine erste Spex war auch die erste des Magazins mit farbigen Cover. Kim Wilde. Spex begleitete eine Generation von Post-Punkern, Post-Post-Punkern und Fußgängerzonenhipstern durch die 80er. Spex war so etwas wie der gute Kumpel, der einem neue Musik näher brachte, Empfehlungen aussprach, die Zusammenhänge erklärte.
Zum Beispiel die Philosophie des SST-Labels plus Navigationshilfe durch deren Veröffentlichungsflut. Die Popwunderwelt des ZTT-Labels von Paul Morley. Die einen hörten vielleicht deren Hits von Frankie goes to Hollywood, wir jedoch VERSTANDEN. Und das war wichtig denn in der Popwelt von Bohemia (siehe Sexbeat von Diedrich Diedrichsen) war cooles Auskennertum eine Schlüsselkompetenz. Unter Umständen durchaus auch ein Türöffner zu Frauenherzen. Denn die Hauptstadt von Bohemia hieß nicht Nerdhausen sondern Heartachecity. Kurz: Spex machte uns Leser damit selbst ein wenig zu Popstars.
Spex machte uns Leser selbst ein wenig zu Popstars
Und Pop war nicht Independent oder Alternativ. Chartbuster wie Spandau Ballett oder Tears for Fears agierten im Spex Universum gleichberechtigt neben dem Gun Club oder den Cramps. Spex führte uns geschmackssicher zu den ersten Hip Hop Acts des Def Jam Labels, den kurzfristigen Positive Punk- oder Grebo-Trends, den C86 Bands und und und. Die Autoren waren Musikverrückte, die für Musikverrückte schrieben.
Analytisch, gern mit einem Schuß Humor, aber immer gnadenlos subjektiv aus der Fanperspektive. Es war übrigens ein beliebtes Differenzierungskriterium „Spex“ Scheiße zu finden. Dafür Fanzines wie Howl oder Trust zu lesen, die über die wahre Gitarrenmusikcredibility verfügten. Ein echtes Jungensding eben.
Auch später noch in den 90ern und 00ern war das Magazin für mich immer ein guter Ratgeber für CD-Käufe. Ich glaube so 2002 habe ich mich mit Christian Gasser einem Schweizer Radio DJ und Buchautor über Spex ausgetauscht. Wir kamen beide zum Schluss, dass die Plattenkritiken weiterhin ein Highlight darstellten aber den Rest empfanden wir zunehmend als austauschbar. Ich hörte damit auf, das ganze Heft als Pflichtlektüre zu betrachten, las aber gern Berichte über bekannte Bands sowie die Rezensionen.
Digital ist besser?
Die digitale Revolution krempelte komplett unsere Hörgewohnheiten und auch den Konsum von Popjournalismus um. Die Redaktionen brauchen lediglich Hör-Anstöße zu geben, der Nutzer kann sich bei Spotify bedienen um neue Alben zu Playlists zu verdichten. Das Web gewährt Zugang zu Online-Portalen wie Pitchfork.com, wo Infos gratis, aktualisiert und gleichzeitig zur Verfügung stehen. Logischerweise ergänzt durch Multimediainhalte.
Musik zur Zeit?
Im Frühjahr 2017 passiert mir dann folgendes. Ich las auf Pitchfork eine Kritik über Gifts „Altar“, baute meine Kritik bei Plaste ein, und las zwei Wochen später in der aktuellen Spex die Rezension von „Altar“. Als Hobbyblogger schaffte ich es also schneller zu sein als das Magazin, das in den 80ern den Slogan „Musik zur Zeit“ trug. Für mich persönlich hatte die Spex der 10er Jahre eine etwas milchige Patina bekommen. Ich habe meine Musik woanders gefunden, in meiner Wahrnehmung bekamen auch die Artikel im Heft eine distanziertere und emotionslosere Tonalität. Vielleicht liegt es auch am Alter (meinem) und an der Tatsache, dass die Geschichte der Popmusik aus erzählt ist.
Trotzdem möchte ich noch eine Träne darüber vergießen, dass endgültig Schluss ist und die Redaktion nicht online weitergeführt wird.
Danke SPEX für die tolle Zeit zwischen 1983 und 2018.
Plaste sowie das Vorgängerfanzine „Trend“ waren zweimal in Spex erwähnt. Danke für 1986 an Detlef Diederichsen. Danke für 2014 an Aram Lintzel
Es freut mich auch, dass Spex-Autor Aram Lintzel sich noch an den ersten Kauf meines „Trend“ Fanzines erinnert.
Mein persönlicher Traum mal für die Spex zu schreiben, ist leider nicht in Erfüllung gegangen. Aber Astronaut oder Kapitän bin ich ja auch nicht geworden.