David Bowie frönte in L.A. einer ganz besonderen Diät. Er ernährte sich ausschließlich von Milch, Paprika und Kokain. Fett ansetzen kann man damit nicht, aber den Nerven tut’s auch nicht unbedingt gut. Bowie war ausgebrannt, sympathisierte mit dem Faschismus und litt unter Schreibblockaden. Er überstand mit seinem Neukumpel Iggy Pop, übrigens zu der Zeit auch nicht gerade eine Gesundheitsfanatiker, mit Müh und Not die Station to Station Tournee. Anschließend nahmen die beiden Pops Comebackplatte “The Idiot” im franzöischen Chateau d’Hérouville auf . Die Texte verfasste Bowie während der Tournee.
Das Album hatte nichts mehr mit dem drogengetränkten Präpunkfegefeuer der Stooges am Hut. The Idiot ist dunkel, mechanisch. Pops Gesang fast leidenschaftslos, gezeichnet von den letzten vier unproduktiven Jahren seit “Raw Power”. Nach den Aufnahmen von The Idiot begann Bowie mit “Low”. Stellenweise dockte das Konzept an “Station to Station” an. Er griff auf seine Band um Chris Alomar zurück. Aber David Bowie war neugierig, war Künstler und interessierte sich für die deutschen Krautrock-Musiker Szene. Den hypnotisch federnden Beat von NEU!, die sphärischen Klangwelten von Tangerine Dream oder den elektrischen Minimalismpop von Kraftwerk. Und so beschloss Bowie sich nicht nur Inspiration durch die deutschen Künstler zu holen sondern gleich die ganze deutsche Kultur einzusaugen.
Berlin
Berlin avancierte nach dem zweiten Weltkrieg zur hochsubventionierten Insel der Demokratie im Ozean des real existierenden Sozialismus. War in Wirklichkeit aber eine künstlich am Leben erhaltene Brache preussischer Kultur, die Konrad Adenauer einst gegen Sachsen eintauschen wollte. Da die Einwohner Berlins allerdings vom Wehrdienst befreit waren, pilgerten junge Männer zuhauf nach West-Berlin und schufen dort eine fruchtbares künstlerisches Ökosystem. Bowie kam über Edgar Froese von Tangerine Dream in die Mauerstadt, um Low in den Hansastudio fertigzustellen. Der Meistersaal beherbergte in den 20ern expressioniste Ausstellungen und bot ebenso die Kulisse für Nazibankete. 1977 waren die Fenster noch teilweise zugemauert und Einschusslöcher aus dem zweiten Weltkrieg zierten die Säulen im Inneren des Ateliers. Der Blick aus dem Fenster bescherte dem ehemaligen Thin White Duke eine direkte Sicht auf den Todesstreifen und die Wachleute auf der anderen Seite. Bowie schwur übrigens Stein auf Bein, ein sowjetischer Wachmann habe ihn um Feuer gebeten und sei dann wieder gen Todesstreifen verschwunden. Berlin war kein angenehmer Ort um Platten aufzunehmen aber es bot die perfekte Kulisse für eine Experimentfeld zur Weiterentwicklung von Popmusik
Low
Berlin war für Bowie das, was der Motoradunfall für Bob Dylan war. Eine Möglichkeit Atem holen um dem tödlichen, hysterischen Speed des Rockzirkus zu entkommen. Im Gegensatz zu Dylan jedoch schaffte es Bowie sich in Berlin sich als Künstler weiterzuentwickeln und aus den Zwängen des Popkapitalismus zu befreien. Auf Seite 1 kämpft Carlos Alomars Funk und der harte metallene Groove gegen Brian Eno scharfe Synthieflächen. Das Ex-Roxy Music Mitglied hatte zwei Jahre zuvor mit “Discret Music” Ambient Sound erfunden. Bowie Stimme wirkt eisig und abwesend und ähnelt Iggy Pops Performance in The Idiot.
Die Texte sind eher Fragmente als Lyrik. Bowie befand sich mitten im Kokain-Entzug und kämpfte nach wie vor mit seiner Schreibblockade. Die Songs sind selten länger als 3 Minuten und mit “Sound and Vision” fällt sogar ein erster Hit in Deutschland ab.Seite Zwei ist rein instrumental, ihr merkt man auch stärker die Beeinflussung durch die deutschen Krautrock-Bands an. Die Musik ist den Bewohnern des Ost-Blocks gewidmet. Warzawa basiert auf dunklen Piano-Melodie, der Soundtrack für eine Fahrt durch düstere, dystopische Plattenbausiedlungen. Bowie sagte zu seinem Mitstreiter Eno, ihm sei es egal, ob diese Musik jemals veröffentlicht würde. Das Label RCA zog die Platte denn auch für das Weihnachtsgeschäft 1976 zurück und veröffentlichte sie erst im Januar 1977
Heroes
Heroes ist der Nucleus der Berlin-Trilogie. Es ist das einzige Album, dass komplett in Berlin aufgenommen wurde und den Mauerstadt-Spirit auf den Punkt bringt. Heroes wirkt wärmer und in sich geschlossener als Low. Bowie und Eno konnten mit ihren Experimenten noch einen Schritt weitergehen. Ursprünglich fassten die beiden Michael Rother (Neu!, Harmonia) als Gitaristen in Auge. Eno stand allerdings durch seine Arbeit an “Before and after Science” in Kontakt zu Prog-Rock-King Robert Fripp und der hatte halt am Wochenende Zeit, schnappte sich seine Gitarre und kam nach Berlin.
Fripps schaumige Feedback-Arrangements, wurden fürs ganze Album innerhalb von nur sechs Stunden eingespielt. Brian Eno mäanderte zwischen schwirrenden Synthieflächen und harten Krautrock Shuffle. Bowie selbst lieferte eine entfesselte Performance, er moduliert seine Stimme bis zur Grenze des Irrsinns und ist zwischen der jammenden Rythmusgruppe so präsent wie nie in seiner Karriere. Die B-Seite liefert wie Low eine Reihe von treibenden und düsternen Instrumentals. Gekrönt vom schwitzig exotischem “Secret Live of Arabia”. Heroes ist eines der Alben der Rockgeschichte, die auch nach 40 Jahren kein Gramm Fett angesetzt haben. Tracks, die immer noch Überraschungen bieten. Musik, die immer noch ihrer Zeit voraus ist.
Der „David Bowie in Berlin“ Bowie
Laut offizieller Geschichtsschreibung hatte Bowie in Berlin seine Alter Egos abgelegt. Den androgynen Glamrock-Clown Ziggy Stardust ebenso wie die abgemagerten, kokainsüchtigen, Salonfascho Thin White Duke. Es geistern ja auch viele Fotos von Bowie durchs Netz, als schnauzbärtiger, gutfrisierter Schwiegermutterliebling. Berlin war aber für Bowie eine Katharsis, er schlüpfte nach dem Koksentzug quasi in sich selbst und schuf “Bowie den Künstler”, er saugte eine ganze Stadt, den Glanz und das Drama der Weimarer Republik, den kranken Irrwitz einer eingemauerten Enklave ein. Inszenierte das Heroes Cover als Coverversion von “Roquairol” des Brücke-Künstlers Robert Heckel. Und selbst in Bomberjacke und Strubbelpeterfrisur wirkt Bowie geheimnisvoll, ätherisch und magnetisch.
Lodger, Stage, Before and After Sience, The Idiot
Wenn Lodger und Stage zur offiziellen „Trilogie“ gezählt werden, möchte ich noch zwei weitere Alben dazunehmen. Lodger ist sowas wie ein erstes normales Bowie Album. 10 Songs, die sich hart an der New Wave orientieren ohne das Genre voranzubringen, diese Aufgabe erfüllten Bands wie Devo, Magazin oder die Talking Heads besser. Aber trotzdem enthielt das Album großartig komponierte Tracks, denen der leicht mumpfige Sound sogar noch einen zeitgenössigen DIY-Anstrich gibt.
Before an After Sience von Brian Eno wirkt wie das Negativ zu Heroes. Eine Seite hüpfender, feinsinniger Kammerpop auf Seite zwei eine Fortführung seiner instrumentalen Ambient-Experimente. Eno liess sich ebenfalls von der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts inspirieren. Er baute beispielsweise in „Kurts Rejoinder“ Kurt Schwitter Stimme ein und liess sich von der Creme dela Creme der zeitgenösischen deutschen Experimentalszene begleiten. Stage präsentiert Bowie als Live-Crooner, der es sich erlauben kann, seine Songs auch mal etwas eigenwillig zu präsentieren ohne ihnen jedoch etwas neues hinzuzufügen. Iggy Pops The Idiot darf als Blaupause für Bowies Berlinalben gelten.
Heroes wurde zwei Wochen vor „Never Mind the Bollocks“ dem Punk-Finale der Sex Pistols veröffentlicht. David Bowie setzte mit diesem Album den Startpunkt für Postpunk/ New Wave und inspirierte einen Großteil der jungen Bands bis 1985.
Bowie in Berlin -Playlist
before and after SCIENCE
Danke ich habe es geändert. 😉