Wenn in der Fußgängerzone einer südbadischen Stadt eine Bühne zwischen Kaufhof, Osiander und Architekturadaptionen aus dem Mittelalter aufgebaut ist, gilt erst mal Coverbandalarm. Wenn es hoch kommt beuten die Nebendarsteller von Bands aus den 70ern ihren Markennamen aus, oder Dieter Thomas Kuhn gibt sich die Ehre. Niemand erwartet eine der stilbildende Band aus den 90ern. Niemand erwartet Massive Attack , deren erstes Album in jedermanns Top 20 Liste der allerbesten Platten der ganzen Welt seinen festen Platz hat. An dieser Stelle deshalb einen dicken Applaus für das Stimmen Festival. Den Support bestritt Denis Jones aus Manchester mit sympathisch frickeligem Elektro Folk.
Ähnlich wie bei Kraftwerk ist das musikalische Werk von Massiv Attack größer und mächtiger als die Band selbst. Deshalb können die Tracks problemlos in verschiedenen Formationen reproduziert werden. In Lörrach traten Massive Attack mit zwei Schlagzeugern, Gitaristen und Bassisten fast wie eine „richtige“ Band auf. Und das war gut so, denn mithilfe des Live-Korsetts konnten die schweren dubbigen elektronischen Tracks den vollen Drive entwickeln. Die Beats waren so deeeeep, dass man damit einen südbadischen Kartoffelacker hätte umgraben können. Die Bassläufe so perfekt gerollt wie ein Blunt von Lee „Scratch“ Perry. Gerade die düsteren Tracks wie das klaustrophobische „Butterflight Caught“ lebten von der dunkel bedrohlichen Stimme von Robert del Naja. Aber bei allem Respekt vom oftmals sträflich unterbewerteten Spätwerk der Formation lieferten die Tracks von Blue Lines und den frühen Platten die Höhepunkte.
Reggae Legende Horace Andy, kam auf Krücken, er hatte sich nach seiner Ankunft in London von Jamaica verletzt. Illuminiert von den Bühnenstrahlern verzaubert der 65-jährige das Publikum mit dem warmen Reggae-Soul von „One Love“ und „Angel“ . „Safe from Harm“ mit seinem samtig schleichenden Dub-Flow kam live in einer langenden groovenden Extended Version. Und es musste keinem peinlich sein, bei „Unfinished Sympathy“ mitzuklatschen. Das Credo im regionalen Kulturteil einer Tageszeitung könnte jetzt lauten. „Alles in allem ein gelungender Abend mit der Trip Hop Legende an einem lauen Sommerabend in Lörrach.“
Auf dem bühnenbildgroßen LED-Display projizierten Massive Attack jedoch Bilder, die aus dem Abend mehr machten als ein Best-Of Konzert einer Band aus den 90ern.
Die visuelle Show überlagerte und begleitete das Konzert mit Botschaften, die nicht nur künstlerisch flashten. Der visuelle Part des Abends war ein Statement zur unsere Zeit, in der Psychopathen, aus welchen Gründen auch immer fast wöchentlich Amok laufen. In der verkniffene Amöbenhirne versuchen die Macht zu ergreifen und unsere gesellschaftlichen Werte zu implodieren drohen. Und wer hat nicht kurz auf Handy geschaut als zwischen den Orten des Terrors auch „munich?“ auftauchte. Wer konnte sich nicht den Bildern von den Flüchtlingen mit der Botschaft „Das stehen wir gemeinsam durch“ entziehen. Wer musste nicht schlucken als quasi als Overtüre zur Zugabe „Unfinished Sympathy“ alle Orte der letzten Terroranschläge auf die Bühne projiziert wurden.
Massive Attack ist eine wichtige Band im Jahr 2016, deshalb überlasse ich das Schlusstatement auch ihnen selbst