Kendrick Lamar – To Pimp a Butterfly
Kendrick Lamar, Kamasi Washington und Flying Lotus sind die heilige Dreieinigkeit des Brainfeeder-Labels, bewegen sich im Koordinaten-System von Elektronik, Jazz und Hip Hop und haben uns 2014/2015 die wichtigsten Platten auf den Teller gelegt. Musikalisch lebt „To Pimp a Butterfly“ von einem deepen Flow aus Jazz, Soul und G-Funk. Verzichtet aber auf Hammerbeats und zeigt mit dem Finger auf Roots-Künstler wie Gill Scott Heron oder die Last Poets. „To Pimp..“ ist auch ein gewaltiges politisches Statement gegen den grassierenden Rassismus und die Polizeigewalt in den USA. Dafür wird das Album schon jetzt gern mit Meilensteinen wie „Whats goin on“ verglichen. (Äh hüstl, hüstl – wobei ich letzteres nur gelesen habe, da sich mir Compoton-Dialekt von Lamar ehrlich gesagt nicht ganz erschließt)
Washington ist ebenfalls Mitglied der Brainfeeder-Familie und wenn ich mich nicht täusche ebenso wie Flying Lotus irgendwie (zumindest gefühlt) mit Alice Coltrane verwandt. Wenn Kendrick Lamar im Brainfeeder Organigramm den Hip-Hop orientierten Zweig des Labels repräsentiert, ist Kamasi Washington CEO der Jazz Abteilung. Und ich rede nicht von Jazz Light. “The Epic” verbrauchte ein mindestens 50-köpfiges Orchester und einen Chor mit 200 Stimmen – analog und in richtig echt wohlgemerkt. Das fasziniernde an dem Album ist, dass die Platte so klingt, wie man sich Jazz VORSTELLT und zwar im GUTEN. Extrem virtuos, sehr deep, soulful und spirituell. Bilde hierzu bitte einen Satz in dem Miles Davis, John Coltrane und Bebop vorkommen verzichte dabei jedoch auf die Begriffe traditionell, retro, Wynton Marsalis und VS-Swingt.
Jamie xx – In Colour
Schon das Artwork und der Titel des ersten Jamie xx Album verraten, dass jetzt die Sonne in den verwickelten Schluchten von Dubstep City scheint. Das Mastermind von The xx verschraubt und verknotet fortgeschrittene Elektrotechnik, gesampelte Steeldrums, und Sommerhitmelodiesplitter zu spannenden polyrythmischen Tracks. Einige Songs vor allem die von Romy Madley Croft gehauchten klingen wie die nächste Stufe des kühl, minimalistischen The xx Sounds. Jamie hat das The xx Sounddesign bereits mit den Maxis und dem Gil Scott Heron Remixalbum weiterentwickelt. “In Colour” der nächste Schritt, ist warm, popping, melodieselig und wirkt gleichzeitig sympathisch konstruiert und aritifiziell.
The Polyversal Sounds – Invisible Joy
Es gibt per se coole Bandentwürfe, z.B. einfach beim Brainfeeder Label zu signen. Wenn ein Berliner Studiomusiker (Embryo, Lana del Ray! und immerhin Dr. John) mit Musikern aus Ghana eine Fusion aus afrikanischer Musik, Jazz und Folk anstrebt, dann könnte zumindest auf dem Papier schon im genetischen Code des „Projekts“ ein nerviges Post-Hippie-Gefrickel eingebaut sein. Die Polyversal Sounds funktionieren aber als eigenes Konzept. Invisible Joy war meine Sommerplatte 2015 und vielleicht sind PS die originäre multikulturelle uncoole deutsche Happy Sound Band, die wir in Zeiten von Pegida, AfD und Co. einfach brauchen um unsere schlechte Laune zu bekämpfen.
Dan Bejar ist einer diese Waldschrate, die über 10 Jahre knapp unter dem Wahrnehmungsradar fliegen um dann einen kleinen Durchbruch zu schaffen oder Highschool-Lehrer zu werden. „Kaputt“ von 2010 war sein kleiner Durchbruch. Für mich bleibt nach wie vor die Frage unbeantwortet ob der Bandname „Destroyer“ in Verbindung mit dem Albumtitel „Kaputt“ und genialischem Segelschuh-Soft-Pop ein absichtlicher Kalauer war? Poison Season ist viel offensiver, verschwenderischer als der Erstling. Eingerahmt vom Keytrack Times Square fühlt sich Hörer wie ein Besucher eines Musicals in dem ein verpeilter Bruce Springsteen Darsteller sich an einer Bowie Rockoper namens „Fame“ abarbeitet um am Schluß Olivia Newton-John zu heiraten.
Schnipo Schranke – Satt
Satt startet schon mit den beiden Openern als Versprechen auf eine Hörspielcassette mit Musik und den lustigen Abenteuern von Fritzi und Daniela. Ein bisschen tollpatschig, ein bisschen unglücklich verliebt, aber immer wird mit offenen Augen durch die seltsame und fremde Welt gestolpert. Und was sie alles erleben! Vom verrückten Lover in einen Schrank eingesperrt werden, Sperma trinken, sich nicht von den Typen unterkriegen lassen, die sich nicht in die beiden verlieben wollen und zum Schluß gehts mit dem Dampfer nach Panama. Die beiden haben im wahren Leben klassische Musik studiert, deshalb oder trotzdem ist die Musik zu ihren Geschichten poppig, schunkelig und schlagertoll. Und schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn es wieder heißt “Hanni und Nanni im Swingerclub”.
Omar Souleyman hat seine Brötchen die längste Zeit seiner Laufbahn als Hochzeits-DJ in Syrien verdient und dort ca. 500 Cassetten und Platten mit seiner Musik veröffentlicht. Entdeckt und produziert wurde er von Four Tet. Souleyman nennt seinen Stil „Dabke“ , dies sind harte und schnelle folkloristische syrische Hochzeitsweisen. Sie basieren auf einer elektrischen Bozouki, vezichten aber auf elektronische Pimp-Beats. Er ist damit sowas wie ein polyrythmisch orientierter syrischer Andreas Gabalier, der jedoch statt im Königreich der Amöbenhirne im Berghain auftritt. Abwechslungsreichtum ist nicht unbedingt die Kernkompetenz des Albums, dafür geht es ab wie Lumpi. Der Mann hat sein Geschäft gelernt. 5.000 gerockte Hochzeiten können nicht lügen.
New Order – Music Complete
Music Complete steht ganz nah am Acid-House inspirierten 1989er Album Technique. News Order Alben sind seit Power, Corruption & Lies immer Platten mit guten und auch mal weniger zwingenden Tracks und mal mehr oder mal weniger Elektronik bzw. Gitarren. In diesem geschlossenen Universum ist “Music Complete” ein Album mit sehr guten Songwriting und vieeeeeel Disco. Selbst Italo-Disco Albernheiten wie “Tutti Frutti” kriegen charmant die Kurve. Ich würde sagen ca. 3 bestes New Order Album aller Zeiten. Peter Savilles Mondrian-Fachwerkhaus-Hybrid Hülle setze ich gern auf die No. 1. aller New Order Plattencover
Julia Holter – Have You In My Wilderness
Wenn die Platte ein Kleidungsstück wäre, wäre sie ein verwaschenes Kate Bush T-Shirt. Plattencover und Musik sind immer noch wie bei den Vorgängeralben ein wenig verhuschelt aber Julia Holter ist nicht mehr die Zahnfee aus dem Schneewitchenland. Die Songs sind durchscheinend aber strukturierter. “Everytime Boots” ein richtiger kleiner Ohrwurm. Traut euch einfach mal sie beim Yogi-Tee und Adventskranzsingen und Sterne basteln im zu hören.
Die Nerven – Out
Die Nerven wissen es. Plaste weiß es schon viel länger. Eine authentische, gesunde Wut im Bauch holt man sich nur in der Provinz. Out ist ein glassplittrig, scharfkantiges Album ohne artifiziellen Scheiß und Überbau, den sich die Band in Berlin oder Hamburg hätte antrainieren müssen. Mit den Songs, die von ihrem extremen Spannungsgefälle leben, sind Die Nerven heute da wo Sonic Youth 1987 mit Evol standen, also kurz vor dem ganz großen Ding. Passend dazu wurde die Band 2015 als Authentizitätsexot durchs gelangweilte Feuilleton geschleift. Das gleiche passierte ja Trümmer letztes Jahr. Egal, liebe Nerven wenn ihr mal das Gefühl habt, dass euch der Wut-Akku ausgeht, dann kommt immer gern nach Villingen-Schwenningen in schwäbische Heart of Darkness, zum Aufladen.
Alabama Shakes – Sound & Color
Die erste Platte der Band habe ich einfach ignoriert, weil ich nichts weniger brauchen kann wie Southern Rock orientierte Bands als Vertreter der Staubfängerfraktion im großem Vinylmuseum. Aber Albama Shakes sind wirklich nah dran am Blues und ganz weit weg von der Beck’s -Bier Seeligkeit eines Joe Cocker. Sängerin Brittany Howard presst, kämpft quengelt quietscht, grunzt sich durch die Tracks – dafür hat irgendjemand mal das Wort Authentizität erfunden. Die Musik, ja doch Southern Rock, Psychedelic und rumpeliger Stax-Soul. Die Songs, spannungsgeladene Knallerbsen im Hintern von Jack White.
Lobende Erwähnung
Grimes – Art Angels: Erster Eindruck: Minnie Maus ist ins Lego Musikstudio eingedrungen und spielt dort Rihanna. Zweiter Eindruck- die best gestylteste Musikerin bereitet sich mit Hammermelodien auf die große Stadiontour in Banksys Dismaland vor.
Tame Impala – Currents: Neben dem Hit des Jahr noch viel mehr supermelodien Synthiemeldien mit ganz viel warmer extra Käsesoße obendrauf.
Gang of Four – What Happens Next Ein dunkel monolithisches Weiterdenken ihres Post-Punk Erbes.Und mittendrin nölt auch och Herbert Grönermeyer rum und das irgendwie noch gut.
Ata Kak – Obaa Sima Aufgenommen 1994 im Wohnzimmer. Als Cassette von „Awesome Tapes of Africa“ jetzt (wieder) entdeckt. Gnadenlos hochgepitchter Highspeed Hip Hop Marke Ata Kak. Echte Nerds kaufen das Album natürlich als Cassette.
The Weeknd – Beauty Behind the Madness Abel Makkonen Tesfaye alias The Weeknd hat verkündet, daß er der Michael Jackson seiner Generation sei. Richtig! Seine dunkel schillernden RnB Tracks sind sind nicht nur zur Unterlegung für Herrenparfüm Werbung geeignet sondern auch als Soundtrack dieses gruseligens Jahres