Nick Cave live. Nun also das Konzert, zum Film, zum Buch, zur Platte, zum Gesamtkunstwerk. Ich finde mich aber erst mal in den butterweichen Kinosesseln der Liederhalle in Stuttgart wieder, einem architektonischen Hingucker, es handelt sich übrigens um die erste asymetrische Konzerthalle der Welt, um das Thema Gesamtkunstwerk mal etwas onkelhaft abzurunden. Da sitzen wir also in der der Reihe 11 Parkett aufsteigend und fragen wie das gehen soll? Mit Nick Cave und Kinosesseln zwischen all den Waldorflehrern und Zahnärzten. Aber Nick Cave ist zum Glück ein charismatischer Crooner und als solcher braucht er für seine Choreografie natürlich auch Publikum, das ihm fleissig die Arme entgegenstreckt. Schon bei Opener „Water’s Edge“ löst er die Sitzordnung mit einer souveränen Handbewegung einfach auf. Die 120€ Sitzplätze in den ersten Reihen werden zu 120€ Stehplätzen und wären, auch wenn sich alle auf einem Bein stehend am Ohr zupfen müssten, immer noch ihr Geld wert.
Die Höhepunkte der zweieinhalbstündigen Performance
Higgs Boson Blues – Der Track über die Gottesteilchen, der Track über Robert Johnson, der dem Teufel seine Seele verkauft, der Track in dem Miley Cyrus zum Schlagen seines Herzens im Swimming Pool treibt. Tja Herr Cave bäckt thematisch grundsätzlich nicht gern kleine Brötchen. Die Performance war auch Höhepunkt in der Cave-Doku „20000 Day on Earth“. Und er gibt sie in Stuttgart genau so intensiv wie weiland in Sydney, nur dass in der Schwabenmetropole ein etwas verwirrt dreinblickender bärtiger jungen Mann im Zentrum des Songs stand
From Here to Eternity – Der Übersong von seinem ersten Soloalbum. Im Stakkato-Gitarrengeschnetzel franst für Momente die Realität aus. Und Stuttgart 2015 wird zu Berlin 1984. Und aus den Chiropraktikern, SAP-Consultants und Businesshemdbüglern werden zuckende Kids mit rattenzerfressenden Frozen-Explosion Frisuren, werden „Collapsive New People“ im SO36. Natürlich nur für Sekunden, denn länger dauern die Wunder im Leben leider nie.
Tupelo: Warren Ellis improvisiert den apokalyptischen Donner und Tupelo walzt mit alttestamentarischer Wucht durch Liederhalle. Genau so und aufgeladen mit schwarz-bedroooohhlicher Gewitteratmosphäre muß es gewesen sein, als uns der King geboren wurde.
Weitere Highlights, natürlich „The Mercy Seat“ und natürlich „The Weeping Song“ und natürlich „ Into my Arms“ und natürlich….
In der Liederhalle gibt Cave den Elder Statesman, den charmanten Entertainer, den singenden Poeten und den verzweifelten Höllenhund und zwischendurch hat der Mann sogar noch Zeit für Humor. Erklärt dass alle Sänger der Welt auf der Bühnen nun mal ständig ausspucken müssen, nicht nur er sondern auch Barry White und PJ Harvey.
Eigentlich unfassbar für einen Künstler, der seit 35 Jahren im Geschäft ist: Im Programm an diesem Abend waren fünf Tracks seiner aktuellen Platte. Nicht wie üblich am Anfang, damit es schnell hinter sich bringt, sondern als Höhepunkte und Schluß der Zugabe. Ach ja, die Sache mit Welthit, auf den hat keiner gewartet und den hat keiner vermisst. Statt dessen holt er „Up Jumped The Devil“ von Tender Prey aus der Mottenkiste, einfach weil er es will, weil er es kann und weil es gut ist. Man stelle sich das bei David Bowie, AD/DC oder anderen Eigenego-Recyclern vor.
Irgendwann vor vielen Jahren, habe ich mir mal das Ziel gesetzt die Einstürzenden Neubauten, Lou Reed und Nick Cave unbedingt anzuschauen. Danach schwor ich, wollte ich nie wieder ein Konzert besuchen. Eigentlich wäre ich damit jetzt durch. Aber solange Künstler wie Nick Cave Lust auf auf Mehr haben, bin ich auch dabei. Ich werde mir für die nächsten 30 Jahre wohl eine neue Liste schreiben müssen.
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“ verwirrt dreinblickender,bärtiger Jungmann „….., dass gefällt mir 🙂
Gute Beschreibung! Bin froh, dass in Stuttgart schon nach dem zweiten Song aufgestanden wurde. In Berlin war es „eine Qual“ sitzen zu müssen während Tupelo. Er schafft es immer wieder, bei jeder Tour, noch besser zu werden.
Ich fand es auch super. Ich hätte das Konzert sitzend nicht ertragen. Ja, ja die Schwaben sind halt auch echte Stimmungskanonen 😉