Tocotronic live im Freiburg
Im Rahmen unserer bunten Reihe „Popbands an ihren Originalschauplätzen“ schauen wir uns heute nach dem Trümmer-Paule im Villinger Limba den Denker-Dirk im Freiburger „Haus der Jugend“ an. Auch er wechselte aus dem badischen, nach dem Jura-Studium in Freiburg nach Hamburg, wohin er ja bekanntlich die schöne Hymne „Freiburg“ mitgenommen hat.
Ich habe mich vor kurzem in diesem Blog gewundert warum nie jemand auf die Idee gekommen ist, Tocotronic zu verreissen, aber das ist momentan genau so einfach wie für einen Hoffenheimer Stürmer die Innenverteidigung des FC Bayern auszutricksen (Ein blöder Vergleich, auch wegen dem SC Freiburg und so.) Die Tocos haben sich seit 20 Jahren keinen musikalischen Ausrutscher erlaubt, Spinnereien und alles was den Markenkern verletzten könnte, wird fein säuberlich in Nebenprojekte outgesourct (Phantom Ghost, Bierbeben), durch eine geballte Medienpräsenz schafft man es mit jedem neuen Album mal kurz in die Top Ten, ohne jedoch bei geschmacksresistenten Leuten (Unheilig-Fans) wirklich anzukommen. Sinnstiftende Hymen (Kapitulation) werden geschrieben ohne im peinlichen Air-Play (SWR3) zu landen oder dümmlich anmoderiert 10 Millionen Deutschen auf der „Wetten Dass“ Bühne geopfert zu werden. Nach 20 Jahren im Geschäft hat sich die Band noch einen Hauch Jugendlichkeit erhalten, ohne an der Rock’n Roll Hirnverschwammung (Metallica) zu leiden, ohne in einem Zustand der Permanent-Pubertierung zu dämmern (Die Ärzte) oder sich selbst per Endlosschleife in einem längst untergegangenen Jugendzentrum-Idyll zu reproduzieren (Die Toten Hosen). Ja man trägt die grauen Strähnchen mit Würde und kleidet sich altersgerecht.
Kurzum: Tocotronic haben die komplette KONTROLLE* über ihr Werk, ihr Image, die Medien und ihre Fans. Bei gleichbleibendem musikalischen Niveau gelingt sowas in der Welt eigentlich nur noch Radiohead oder Andrea Berg (um das jetzt mal ganz objektiv von allen Seiten zu betrachten.)
So und jetzt schalten wir um nach Freiburg ins Haus der Jugend, einem Verantstaltungsort, der so klingt wie ein Tocotronic-Titel. Vor meinem geistigen Auge erscheint dann auch gleich der junge Jurastudent Dirk von L., der schmalschultrig Milchkaffe schlürfend im Haus der Jugend Nirvana hört und von einer deutschsprachige Band mit demselben Sound träumt. Und das Konzert? Ja, es war eine charmante und publikumsnahe Präsentation ihrer großen Tracks. Ja, die neuen Tracks konnten super in den Gig integriert werden und fielen natürlich nicht ab (Wie das bei Bands mit 20 Jahren auf dem Buckel….etc p.p). Ja, sie sind große und sympathische Entertainer. Ja, gut dass es sie gibt. Ja, sie haben FREIBURG gespielt und alle haben mitgesungen. O.k. ich selbst war gar nicht da (wg. Grippe) aber es war so, weil es mir so erzählt wurde und weil es so sein muß und nicht anders sein kann. Ja, jeder der an diesem Abend im Haus der Jugend war, hat doppelt gewonnen, nämlich ein großartiges Konzert gesehen und gleichzeitig den ersten Tatort mit Till Schweiger verpasst.
*Um das noch klarzustellen. Die Kehrseite der kompletten künstlerischen Kontrolle, bedeutet, dass die Band darauf verzichtet, Tonnen von Platten zu verkaufen und im bunt bemalten Rolls Royce durch Kreuzberg zu tuckern. Supermodells müssen ggf. Till Schweiger überlassen werden.
P.S. Für Gelegenheitsleser: Die Aufforderung die neue Tocotronic-Platte mal einfach zu verreissen, hat nichts mit der Qualtität der Musik, wohl aber mit dem wohlgefälligen Copy-and-Paste Journalismus der Kulturpresse zu tun.
Appendix 15.03.
Ich korrigiere mich. Wenn sich ein Provinzredakteur dann doch mal am Thema Tocotronic abarbeitet und sein Gehirn anwirft, wird die Band gleich in der Nähe von Reinhard Mey verortet. Ne dann doch lieber von der SPEX abschreiben. Siehe: Badische Zeitung